Glauben Sie ja nicht, wen Sie vor sich haben!

von Georg Sieber

Zum Beitrag „Hier zählt die Persönlichkeit“ von Kathrin Werner in der Süddeutschen Zeitung vom 09.12.2022 (Seite 16, Wirtschaft) 
_____________________________________________________________

für KARRIERE-JURA Leserinnen und Leser kommentiert von Georg Sieber, Wiesbaden, Dambachtal 12:

„Glauben Sie ja nicht, wen Sie vor sich haben!“ 


Persönlichkeitstests werden derzeit wieder massiv beworben. Die psychologischen Fachverbände sind darüber weder erfreut noch anderweitig amüsiert. Mangels Fachwissen in der Diagnose- und Messtechnik greifen die Werbungsschaffenden in die übervollen Archivkisten der Deute-Medizin aus dem 19. Jahrhundert. Da deutet man drauflos, wer denn wohl der bessere Jurist sei oder werde. Einer mit dem geheimen Berufswunsch Tiefseetaucher? Oder der andere, der als Wunschberuf den Verlagslektor nennt? Klarer Fall? (Von Psychologie keine Spur!)

Wenn eine US-Kanzlei einen streit- und wortstarken Forensiker sucht oder umgekehrt einen zugewandten Problemlöser, dürfte sie sich nie auf Deutungskünste verlassen. Es gibt kein einziges psychologisches Verfahren, mit dem man derartige Unterscheidungen treffen könnte. Stattdessen gibt es umso mehr seltsame Versuche, den Betrieben ausgerechnet diese Deutemethoden zu verkaufen. Aber langjährig erfahrene Personaler benutzen diese Verfahren trotz aller Bedenken, wenn „schwierige“ Bewerber abzu- wimmeln sind. Intelligente Bewerber werden deswegen das Weitergeben ihrer Testantworten oder -ergebnisse unter Vorbehalt stellen, wenn sie keine oder „verdächtige“ Auskünfte zum Verfahren erhalten. Wer sicher gehen will, befragt dazu das Psychodiagnostische Zentrum, Kastanienallee, 14471 Potsdam.

Die renommierte Wirtschaftsredaktion der renommierteren Süddeutsche Zeitung (München) unterlag über 6 (sechs) Spalten dem Charme der Deuterinnen und Deuter Deutscher Beratungsunternehmen (DBU), über deren Persönlichkeitswissen bisher wenig bekannt wurde. Aus dem SZ-Bericht lässt sich nun schlussfolgern, dass sie gradlinig auf US-„Persönlichkeitstests“ setzen.

Gern entnahm man jetzt der SZ, es gebe Marktführer in den USA (und anderen US-nahen Wirtschaftsregionen) beim Vertrieb solcher Persönlichkeitstests. Einer dieser Marktführer sei eine Beratungsgesellschaft namens HOGAN in Illinois. Das Honorar pro getestetem Stellenbewerber soll zwischen 100 und 1.000 Euro liegen, wenn zum Auswahlverfahren ein Personalberater zugezogen werde - angeblich schon bei jedem zweiten Such- oder Auswahlprozess. Wenn es zuträfe, wär’s dennoch irrelevant für die Trefferqualität von Persönlichkeitstests. Es spricht jedenfalls für die Verkaufsstrategie von Personal- beratern, deren Bezeichnung unlimitiert und „frei“ für fast Jedermann ist – wie übrigens auch in der EU üblich.

Mit dem Begriff „Persönlichkeit“ wird auch hierzulande lebhaft gewedelt, wenn es um Unprüfbares geht. Die Führungspersönlichkeit, die Persönlichkeitsstörung wie auch der Persönlichkeitskult zum Beispiel sind nur ausgediente Kampfwörter längst vergangener Zeiten. Sie zeigen auch heute noch keine objektivierbaren, messbaren Inhalte an. Das liegt am Wort Persönlichkeit.

„Persona“ ist ein Wort aus der antiken Theaterwelt, in der jeder Darsteller mehrere Rollen spielen und sich dazu passender Handmasken bedienen musste. Er sprach dann durch jeweils eine der bis zu sechs Masken. Meister ihres Fachs verschafften auf diese Weise ihrer Stimme den jeweils erforderlichen Charakter: männlich oder weiblich, aufgeregt bis zornig oder verzagt. Dieses personare, das „Hindurchtönen“ wurde in dem persona zur Rolle. Da leiht einer einem Helden die Stimme und wird wortlogisch zur Maske dieses Helden, zum Personal und/oder zur Vertrauensperson.

Die „Persona“-Bezeichnung für jeden Hausbediensteten sollte ab etwa 1800 aufgewertet werden – im Deutschen durch die Dekor-Silben „…lichkeit“, die schon von Herr und Herr“lichkeit“ geläufig waren.

Über das „Durchtönen“ hinaus bleibt die „Persönlichkeit“ ohne weitere oder gar psychologische Inhalte – wenngleich die moderne Philosophie auffällig gern damit spielt. Ein Autor sollte daher schon genau sagen können, was er unter Persönlichkeit verstanden wissen will. Ein weiterer Nachteil würde mit einer solchen Erklärung aufgehoben. Das Wortgebilde „Persönlichkeitstest“ weckt nämlich die Erwartung, der Anbieter sei als diplomierter Psychologe besonders sachkundig. Diese Erwartung beruht auf einer veralteten zeitlichen Zuordnung der Persönlichkeitstests seit Gründung erster Testdienste um 1875. Inzwischen hat sich in der Wissenschaft des Vergleichens und sicheren Messens einiges getan. Heute sind beim Studienabschluss „Diplom-Psychologe“ durchaus Grundkenntnisse in Diagnostik- und Mess-(bzw. Eich-)Statistik obligat.

Ein harter Schlag gegen das „Persönlichkeits“-Geschäft dürfte derweil auch die Erkenntnis sein, dass hier nur sehr wenig zum Messen und Auszählen bliebe. Der eigentlich schlichte Grund dafür liegt in der geschichtlichen Herkunft von Bewerbungs- oder Auswahltests. Sie sind sehr oft Abkömmlinge des Schul- und Bildungswesens. Da sind Aufgaben zu lösen, Fragen zu beantworten oder Dingliches zu gestalten. Deren Beurteilungen beruhen sehr oft auf Deutungen. Sie sind also keineswegs objektiv. Die „Auswertung“ eines Persönlichkeitstests begleitet dennoch den Teilnehmer nicht selten durch das ganze Berufsleben. Deswegen wird gerade der angehende Jurist genauer hinschauen, wenn er zum Test gebeten wird. 

Es gibt dann zwei Möglichkeiten:

-> Auskünfte vom Arbeitgeber einfordern

  • Zu welcher Tageszeit beginnt der Test?
    (Leistungsstark ist man zwischen 9 und 12 Uhr)

  • Ist der durchzuführende Test zertifiziert (DIN 33430)?
    Dann gezielt weiterfragen nach
    a) Objektivität,
    b) Anzahl der Testpersonen der Eich-Stichprobe sowie
    c) Adresse des ausführenden Testleiters

-> Fachlichen Rat anfordern zur DIN 33430 direkt bei

Psychodiagnostisches Zentrum e.V.
Kastanienallee 36
14471 Potsdam
Potsdam Vereins-Register Potsdam-Stadt VR 2208 P   

In der Auswertung eines Tests darf sich also kein verborgenes Interesse des Test-Anwenders an den religiösen, politischen oder anderweitig weltanschaulichen Einstellungen des Testteilnehmers verstecken.

Für den Testteilnehmer ist wichtig: Wenn im Ergebnisblatt, dem „Testat“, mehr als 2 der sechs Messwerte unter 20 liegen oder jeweils über 79, sollten dem Testanwender die Weitergabe und Archivierung der Ergebnisse untersagt werden.

„So objektiv wie möglich“ erreicht kaum eine einzelne Anwendung jemals die vollen 100%. Hier gibt eine anspruchsvolle Wissenschaft den Takt vor und beginnt mit dem, was da gemessen werden soll. Am Beispiel „Persönlichkeitstest“ wird klar, dass keine Begriffswolke, sondern nur messbar Wahrnehmbares getestet werden kann. Und die „Persönlichkeit“ gehört definitiv nicht dazu. Auch weil kaum ein Persönlichkeitstest die DIN 33430 erfüllt, lässt sich über Ergebnisse solcher Tests rein gar nichts mit der erforderlichen Gewissheit sagen.

Man würde aber nun ganz gern fragen, wer zum Beispiel für das Statistik-Design eines „Marktführers“ wie HOGAN in Illinois verantwortlich zeichnet. Spontan meldet sich der Bundesverband deutscher Unternehmensberatungen, der auch einen „BDU-Fachverband Personalberatung“ in petto hält. Der könnte sich mit dem US-Markt für Persönlichkeits- tests auskennen und nennt ja auch gleich mehrere Marktführer. Denen wiederum geht es nur um eine aufgeblasene Peanut, also um den „Kern der Persönlichkeit“, der sich an- geblich in den US in drei Lebensbereichen auswirkt:


-> „Stärken und Schwächen im Alltag“

-> „Ziele, Interessen und Antriebe“

-> „Stress-Reaktionen (Risiken im Job)“


Arne Adrian vom Verband BDU macht daher der potenziellen Kundschaft Mut: Persönlichkeitstest-Verweigerer seien sehr selten, denn es gebe im Test dabei keine richtigen und falschen Ergebnisse, wie er versichert. Allerdings klagt Sabine Thiemann als BDU-Personalberaterin, es gebe eben doch ein Akzeptanzproblem und auch die Furcht vor unerwünschten Ergebnissen. HOGAN bespreche jedenfalls Testergebnisse mit den Teilnehmern.

Zsolt Feher, ein weiterer HOGAN-Anwender, beantwortet die Frage nach Hindernissen an dieser Stelle mit eigenen Beobachtungen: Zweifler hätten meist mit anderen Persönlichkeitstests, „die keinen Sinn ergeben“, schlechte Erfahrungen gemacht. Daran schließt sich Kathrin Werner eng an. Und BDU-Mann Arne Adrian sekundiert zum Lob der Hogan-Kreation.

Auch sonst, in den gefühlt 220 Zeilen des SZ-Beitrags begegnet man mindestens 12mal keiner anderen als der Marke HOGAN. Die jedenfalls kann auf Schweizer Wurzeln verweisen (C.G. Jung, Basel, wurde Wegweiser für das Ehepaar Myers-Briggs, das wiederum das Ehepaar Hogan in die Persönlichkeitslogik einwies). Von anderen, gewiss ebenso prominenten Persönlichkeitstests war im SZ-Beitrag verständlicherweise nicht weiter die Rede. Sie blieben unbelobigt.

Es ist tatsächlich so, dass im Markt der Business-Drucksachen die Nachfrage weit hinter dem Angebot zurückbleibt. SZ-Abo-Leser werden sich an 6-spaltige Werbetexte gewöhnen – wenn sich die Wirtschaftsredaktionen im Gegenzug dazu durchringen würden, rein gewerbliche Anzeigen zu kennzeichnen.

Vielleicht ließen sich auch spitze Federn entdecken, die zum offenbar kitzligen Thema mehr Sachverstand mitbringen. Andernfalls müsste man befürchten, der Bundesverband deutscher Unternehmensberatungen (BDU) habe mit seinem Oklahoma-Ausflug einer bei uns bedrohten Beratergattung aufhelfen wollen.

Es wäre so passend wie nützlich gewesen, die Leser auf die Existenz einer themabezogenen DIN hinzuweisen. Auch noch so lästige Zweifler hätten dann schon bald erkannt, dass die Qualität eines Eignungstests nicht daran zu messen ist, wer und wie viele Laien „einen Sinn“ in dem Verfahren zu erkennen glauben. Zusätzlich hätten Leserinnen und Leser zu verstehen gelernt, dass es gleichgültig ist, ob sich ein Testteilnehmer in seinem Ergebnis wiedererkennen kann oder nicht. Und vielleicht wären Leser eines deutschsprachigen Wirtschaftsteils auch ein wenig stolz darauf, dass der historische deutsche Beitrag zur Entwicklung von Eignungstests tatsächlich entscheidend war: Der berühmte IQ wurde in Berlin aus der Taufe gehoben (William Stern) und das verwirrende Einmaleins der Eignungsfaktoren stammt vom Vogelsberg. Die typisch deutsch-genaue Regelung des betrieblichen Testwesens: Die große DIN 33430 stammt aus der Bundeshauptstadt Berlin. 





Unser Autor

Georg M. Sieber, Jahrgang 1935, ist Diplompsychologe in Wiesbaden. 1964 gründete er sein Institut für Angewandte Psychologie, die Intelligenz System Transfer GmbH (11 Niederlassungen).

Sein persönliches Interessengebiet sind Schriften historischer Vorläufer der heutigen Psychologie, de Federico II., Machiavelli, Palladio, Í­­nigo López de Loyola u.a.


Für den fachlichen Austausch steht er gerne zur Verfügung:

089 / 16 88 011 oder per eMail: Georg.Sieber@IST-Muenchen.de

Dieser Beitrag ist erschienen im Newsletter 'Karriere-Jura', den Sie hier abonnieren können.

Copyright: Karriere-Jura GmbH, Karriere-Jura.de ®

Kennen Sie den Newsletter Karriere-Jura?

Der kostenlose Newsletter Karriere-Jura bietet hilfreiche In­formationen über den Arbeits­markt für Juristen, Fort­bildungs­mög­lich­kei­ten, Tipps für Be­werbung und Vor­stellungs­ge­spräch sowie aktuelle Stellenangebote für Juristen und Rechtsreferendare.

Abonnieren