Wieso eigentlich "Gremium"?

Hofberichterstatter der Börsen-Szene verwenden bevorzugt das lateinische Wort G r e m i u m, wenn sie die Quelle informeller Angaben höchster Ebenen nicht benennen, sondern nur andeuten wollen. Das Wort verdient sorgfältige Betrachtung. Immer öfter wird es für ein Fachwort der Organisationslehre gehalten. Dazu formuliert man etwa: „Die Entscheidung darüber liegt bei den Gremien.“ Oder: „Die Gremien haben sich dazu noch nicht geäußert.“ „Gremien“ wird sowohl als dekoratives Synonym für „Oberste Leitung“, „Präsidium“ oder „Aufsichtsrat“ genutzt als auch als Gattungsbegriff für nicht bekannt zu gebende beteiligte Personen oder Einrichtungen. Eine ähnliche Karriere zum Gattungsbegriff gelang den „Märkten“ oder den „Obrigkeiten“. 







Nicht selten verwenden Interessenvertreter das Wort Gremium als Schmuckwort, um einen von ihnen selber betriebenen Zusammenschluss aufzuwerten. Auch politische Forderungen, Postulate oder Manifeste gewinnen an Bedeutung, wenn man sie einem oder mehreren Gremien zuschreibt. Häufig privilegieren sich angebliche „Experten“ mit dem Experten-"gremium“, um besondere Sachkenntnis und damit vor allem die Deutungshoheit für sich zu reklamieren. 

Gremium ist aber und war natürlich zu keiner Zeit ein Organisationsbegriff. Die lexikalische lateinische Bedeutung ist „Schoß“. Gremium wird also ganz überwiegend metaphorisch verwendet – auch im Sinne von „Innerstes“, so wie Berichterstatter ja auch von „gut informierten (inneren) Kreisen“ sprechen. 

Das Gremium ruht auf der Interessenlage seiner Mitglieder selber oder auf das Betreiben eines Lobbyisten, der sich Vorteile von der Ausstrahlung des Gremiums erhofft. Den Zündfunken kann ein beliebig Prominenter oder eine ranghohe Bezugsperson gestiftet haben, die damit „Initiator“ oder „Gründer“ wird. Dieser kann die Mitglieder „seines“ Gremiums aus eigener Vollmacht selber oder im Auftrag Dritter bestimmen oder zu deren Auswahl ein Auswahlgremium ernennen.

Das Ganze bekommt einen überzeugenden demokratischen Anstrich durch die Diversität der Auserwählten, durch die Wählbarkeit der Beauftragten des Gremiums, seiner Aufgaben- und Funktionsträger sowie auch durch Abstimmungen jeglicher Art. Häufig gibt sich das zu seiner ersten Sitzung versammelte Gremium eine Satzung oder stimmt dann ab über einzuhaltende Mindestregeln und über die Bearbeitung wiederkehrender Aufgaben. Zumindest eine weitere Versammlung muss später die Satzung des Gremiums freigeben. Diese wird damit ohne weitere rechtliche Vorkehrungen im Rahmen der Organisationsstruktur für die Gremiumsmitglieder verbindlich und „gültig“. Dabei ist es unerheblich, unter welcher Bezeichnung schließlich das Gremium etabliert und proklamiert wird. Begriffe wie „Initiative“, „Union“, „Kohorte“, Projekt …...“, „Freunde der…“ und andere können uneingeschränkt als Synonyme verwendet werden. So ein ausgerufenes oder zitiertes Gremium hat ein langes Leben. Deswegen reagierte der CSU-Generalsekretär Markus Blume im Landtagswahl-Jahr 2018 ganz im Sinne seiner Partei, als er das CSU-Mitglied Stephan Bloch wegen dessen Gremiumsinitiative „Union der Mitte“ scharf zurechtwies.

In den meisten Fällen werden Gremien allerdings vom Desinteresse ihrer Umgebung getragen. Die Öffentlichkeit reagiert auf eine Proklamation meist zustimmend. Steigender Bekanntheitsgrad erlaubt es, für das Gremium öffentliche wie auch private Mittel - vorzugsweise Gelder - einzuwerben. Wegen der engen gesetzlichen und steuerrechtlichen Regelungen findet man im Leitungsbereich fast jedes Gremiums einen darauf spezialisierten Sachwalter.

Je nach Interessenlage des Gremiums werden in der Satzung unmittelbar plausible Aufgaben beschrieben, die das Gremium lösen oder bearbeiten soll. Derartige Beschreibungen benennen Ziele, Zwecke und Lösungscharakteristika wie beispielsweise Bearbeitungsdauer, einzusetzende, abrufbare Mittel, Art und Umfang der Dokumentation im betrieblichen IT-System oder auch Schnitt- und Schaltstellen zum sonstigen betrieblichen Umfeld. Dies kann und soll den operativen Bedarf des Gremiums belegen, soweit es betriebliche Befugnisse oder Funktionen nicht selber wahrnehmen will, sondern an Auftragnehmer weitergibt. 







Gremien können in Unternehmens- und Betriebsstrukturen jeglicher Rechtsform gebildet werden. Eine prüfbare organisatorische Instruktion der Leitungsbeauftragten sollte aber unbedingt sichergestellt werden, weil nur so etwaigen Interessenkollisionen zwischen dem Gremium und seiner strukturellen Umgebung vorzubeugen ist. Aber auch darüber hinaus sollte die Bildung eines Gremiums die verbindlichen Vorgaben der Organisationslehre und deren Prinzip der beherrschbaren Leitungsspanne berücksichtigen. Mischformen aus „selbergestrickten“ und bewährten betrieblichen Organisationsregelungen sollten vor Einführung in einem Betrieb jeweils ausreichende Validitätsprüfungen durchlaufen haben. Solche Mischformen findet man auffallend häufig in Einrichtungen in- und ausländischer Universitäten und Bildungsinstitutionen. Diese können beispielsweise dem Zweck dienen, Studierende für eine Beschäftigung in der Unternehmensberatung zu ertüchtigen, spezielle Akquisitions- und riskante Übernahmepraktiken zu entwickeln oder definierte Geschäftsfelder zu beherrschen.

 

Prüfbare Belege gremiengesteuerter, „neu gedachter Leaderships“, konkrete Fälle von „Hierarchieabbau“ oder „digitale Agilität“ bzw. „Scrum“-Taktiken sind bislang nicht bekannt geworden. Bis allerdings solche Belege vorgelegt werden können, sollten vorerst Neuwörter aus organisationsfremden Bereichen konsequent gemieden – besser noch: ignoriert - werden. Sie bleiben ohnehin meistens in Definitionshürden stecken und können so auch keine Verbindlichkeit entfalten, wie man es bei der Entkernung des Wortes „Projekt“ beobachten konnte. Dies war übrigens entgegen landläufiger Meinung und Definition zu keiner Zeit ein Fachwort der Organisationslehre. Erst seit den 1980er Jahren wurde es zunehmend als Bezeichnung für betriebliche Vorhaben verwendet, die wegen ihrer zeitlichen Begrenzung nicht in der gegebenen Organisationsstruktur zu verwirklichen waren (siehe „Organisation“ bei Google LLC). Inzwischen hat sich „Projekt“ zu einem Vielzweckwort entwickelt, das durch BWL- und Managementlehrstühle in den Rang eines Organisationsfachwortes gelangte. Dieser Eindruck täuscht jedoch, da das Wort weder in historischen Zeiten noch gegenwärtig im lexikalischen Sinne von „Vorhaben“ Verwendung fand und findet. Stattdessen dient das Wort als aufwertendes Attribut für zahlreiche betriebliche Bezeichnungen wie etwa Projektmanager, -koordinator, -plan, -kalkulation, -abrechnung, -gruppe und viele andere mehr. Nach Jahren einschläfernden Missbrauchs wächst nun der Appetit auf Abwechslung. „Gremium“ hat dazu die Zutaten – garantiert sinnfreier Wortgebrauch, garantiert ohne Bedeutung für die Beschreibung organisatorischer Sachverhalte und garantiert attraktiv für Seminarschwurbler.

Unser Autor





Georg M. Sieber, Jahr­gang 1935, ist Diplom­psycho­loge in München. 1964 gründete er sein Institut für An­ge­wandte Psycho­logie, die Intelligenz System Trans­fer GmbH (11 Niederlassungen). Sein per­sön­liches Inte­res­sen­gebiet sind die Schrif­ten his­tor­ischer Vor­läufer der heu­ti­gen Psychologie, de Federico II., Machiavelli, Palladio, Ínigo López de Loyola u.a.

Für den fachlichen Austausch steht er gerne zur Verfügung: 089 / 16 88 011 oder per eMail:

Georg.Sieber [at] IST-Muenchen.de

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